Die neapolitanische Mandoline

Geschichte der neapolitanischen Mandoline

Entstehung (1700 – 1750)

Die neapolitanische Mandoline entwickelte sich aus der Barock-Mandoline; die wesentlichen Unterschiede sind: Stimmung in Quinten (statt in Terzen und Quarten), und die Saiten sind hinterständig befestigt (statt am Querriegel), d.h., sie werden über den auf der Decke aufgesetzten Steg geführt und hinter der Decke am Korpus befestigt.

Diese Variante der Mandoline entstand vermutlich etwa um 1700. Das früheste bekannte Zeugnis für die Existenz des Instrumentes ist die Handschrift "Libro per la Mandola" von Matteo Caccini aus dem Jahr 1703. Dort wird die Stimmung der neapolitanischen Mandoline vorgestellt, und es gibt einige Tanzsätze für die noch unbenannte "neue" Mandoline.

Zunächst führte diese Variante der Mandoline noch ein Schattendasein, ihre Beliebtheit wuchs jedoch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts an (was unter anderem daran abzulesen ist, dass Antonio Vivaldi einige seiner Werke für die Barock-Mandoline selber für die neapolitanische Mandoline bearbeitete).

Die klassische Mandoline in Neapel und Paris (1750 – 1790)

Eine erste Blütezeit erlebte die neapolitanische Mandoline ab etwa 1750 in Neapel. Zahlreiche Komponisten – z.B. Alessandro Scarlatti, Domenico Scarlatti, Nicolo Piccini, Johann Adolf Hasse, Emanuelle Barbella, Carlo Cecere u.v.a. – schrieben für die neapolitanische Mandoline; sie wurde dabei solistisch und in der Kammermusik, aber auch in Bühnenwerken und Kirchenmusik verwendet.

Von Neapel aus verbreitete sich die neapolitanische Mandoline schnell in ganz Italien. Aber nicht nur dort: Paris – mit seinem reichen Musikleben in den Salons der Aristokratie und des reichen Bürgertums – zog auch viele Mandolinisten an. Ab etwa 1760 war die neapolitanische Mandoline eine Modeinstrument der Pariser Salons. Gepflegt wurde hauptsächlich solistisches und kammermusikalisches Spiel. Zur Verbreitung der neapolitanischen Mandoline trug auch bei, dass – weil sie die gleiche Stimmung und Mensur wie eine Violine hat – viele Geiger das Instrument relativ schnell erlernen konnten. Bedeutende Mandolinenvirtuosen der Zeit waren z.B. Giovanni Fouchetti, Giovanni Battista Gervasio, Gabriele Leone oder Pietro Denis. In Paris und Lyon – nicht etwa in Neapel – erschienen auch die bedeutenden klassischen Schulwerke für die neapolitanische Mandoline.

Nach der französischen Revolution 1789 gab es keine Geldgeber mehr für das Musikleben der Pariser Salons; mit den meist italienischen Mandolinenvirtuosen verschwand auch die neapolitanische Mandoline aus dem Pariser Musikleben. Für etwa 10 Jahre ist die neapolitanische Mandoline fast völlig von der Bildfläche verschwunden. Es kann nur vermutet werden, dass die Mandolinisten, die in Paris kein Auskommen mehr fanden, zurück nach Italien gingen. Zeugnisse darüber gibt es nicht.

Die klassische Mandoline in Wien (1800 – 1830)

Um 1800 entsteht aber für die neapolitanische Mandoline eine neue Hochburg: Wien. Zahlreiche Mandolinenvirtuosen lassen sich dort nieder, z.B. Bartolomeo Bortolazzi oder Pietro Vimercati. Die Verwendung der Mandoline ist allerdings etwas anders als in Paris: in Wien gewinnen Werke für Mandoline und Streicher eine besondere Bedeutung. Und noch etwas ist anders: in Wien wird neben der neapolitanischen Mandoline auch die sechssaitige Mailänder Mandoline gepflegt. Und: erst dort entsteht die namentliche Unterscheidung der verschiedenen Mandolinen; der Begriff "neapolitanische Mandoline" wurde also in Wien geprägt.

Der hohe Stellenwert der neapolitanischen Mandoline in Wien lässt sich auch daran ablesen, dass nicht nur Mandolinisten selber, sondern auch bedeutende Komponisten des allgemeinen Musiklebens wie Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart oder Johann Nepomuk Hummel für das Instrument schreiben.

Um 1830 aber verschwindet die Mandoline schnell aus dem Wiener Musikleben. Es wird vermutet, dass die aufkommende Romantik mit ihrer Vorliebe für große Orchesterapparate das "leise" Instrument Mandoline verdrängte. Von den Mandolinenvirtuosen der Wiener Klassik tritt nach 1830 nur noch Pietro Vimercati in Erscheinung. Es erschienen keine neuen Kompositionen mehr. Lediglich in der italienischen Volksmusik lebte die neapolitanische Mandoline weiter.

Die romantische Mandoline (1870 – 1910)

1869 erschien erstmals wieder eine Schule für die neapoitanische Mandoline (von Carmine de Laurentiis) – mit ihr begann die Phase der "romantischen" Mandoline. In der Zwischenzeit hatte das Instrument sich dem romantischen Musikideal angepasst; statt Einzeltonanschlag herrschte jetzt das Tremolo vor, um die großen Melodiebögen der Romantik gestalten zu können. Erneut entstand eine Generation von Mandolinenvirtuosen, die mit Konzert- und Lehrtätigkeiten für Aufsehen sorgten, z.B. Carlo Munier, Vittorio Monti oder Silvio Ranieri.

Der bedeutendste Protagonist der romantischen Mandoline aber war Raffaele Calace (1863 – 1934), der nicht nur als Mandolinist und Komponist in Erscheinung trat. Als Instrumentenbauer übernahm er die Weiterentwicklungen der Römischen Mandoline, die er aber aufgrund seiner Wohnortes weiterhin "neapolitanische Mandoline" nannte. Heutige neapolitanische Mandolinen gehen auf die Instrumente von Calace zurück.

In dieser Epoche entstanden Werke hauptsächlich für Mandoline solo, Mandoline und Klavier oder Mandolinenquartett, dem Vorläufer der Zupforchester, der Ende des 19. Jahrhunderts entstand (s. Die neapolitanische Mandoline im Zupforchester). Allgemein wurde die Mandoline häufig wie eine Geige eingesetzt, oft wurden Werke für Violine auf einer Mandoline gespielt. Was im Mandolinenquartett oder im Mandolinenorchester allerdings adäquat zu sein schien, konnte sich im solistischen Konzertleben nicht durchsetzen. So endete die große Epoche der romantischen Mandoline um 1910.

Mandolinenorchester und beginnende Wiederentdeckung (1910 – 1960)

In den nächsten Jahrzehnten war die neapolitanische Mandoline fast nur noch in den Mandolinenorchestern zu finden. Hier wurde das romantische Musikideal weiter gepflegt, zeitgenössische Musikströmungen gingen an den Mandolinenorchestern vorbei, die sich von Italien aus vor allem nach Frankreich, den Niederlanden und Deutschland, aber auch in die USA (dort allerdings bald mit Bluegrass-Mandolinen besetzt) verbreitet hatten.

Aus der Mandolinenorchesterbewegung heraus wurden in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts Nachforschungen über die Geschichte des Instrumentes angestellt. Allen voran Konrad Wölki stellte fest, dass das Tremolo nicht immer vorherrschende Spielart der Mandoline gewesen war. Er begann, Zupforchesterwerke im barocken Stil zu schreiben, bei denen der Einzeltonanschlag wieder vorherrschte. Ihm folgten andere Komponisten wie Hermann Ambrosius oder Walter Kretschmar. Diese Rückbesinnung konnte sich jedoch zunächst nicht auf breiter Ebene durchsetzen; bis weit nach dem 2. Weltkrieg herrschte romantisches Tremolo in den Mandolinenorchestern vor, auch wenn immer mehr Komponisten wie z.B. Kurt Schwaen (s. auch Kurt Schwaen und die Zupfmusik) den Einzeltonanschlag im Zupforchester bevorzugten.

Neue Blüte der neapolitanischen Mandoline (ab 1960)

Ab den 60er-Jahren jedoch begann sich die Rückbesinnung auf das klassische Erbe der Mandoline in Deutschland durchzusetzen. Einen wesentlichen Anteil daran hatte der Gitarrist Siegfried Behrend, der ab 1960 das Saarländische Zupforchester leitete und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die alten Mandolinenmeister wieder zu entdecken. In dieser Zeit spielten z.B. Takashi Ochi und Wilhelm Krumbach zahlreiche Werke alter Meister für den Saarländischen Rundfunk ein. Neben dieser Wiederentdeckung alter Mandolinenmusik regte Behrend aber auch zahlreiche zeitgenössische Komponisten an, für Mandoline bzw. Zupforchester zu komponieren. Erstmals wurde das Zupforchester zumindest randständig Bestandteil zeitgenössischen Musiklebens. Das 1969 gegründete Deutsche Zupforchester – ebenfalls unter der Leitung von Behrend – machte es sich zur Aufgabe, diese "neue" Art des Mandolinenspiels in die Zupforchester "auf dem Lande" zu tragen.

Der reiche Schatz wieder entdeckter Traditionen des Mandolinenspiels führte dazu, dass 1976 in der Bundesrepublik Deutschland erstmals ein Lehrplan für das Fach Mandoline erstellt wurde. Ab 1979 konnte an deutschen Musikhochschulen – in Berlin bei Walter Neugebauer und in Wuppertal bei Marga Wilden-Hüsgen – Mandoline als Hauptfach studiert werden. Insbesondere Marga Wilden-Hüsgen widmete sich neben ihrer Lehrtätigkeit der Erforschung der Geschichte der Mandoline. Neben der Re-Etablierung klassischer Spieltechniken und der Weiterentwicklung der Klangbildung ist ihr die Wiederentdeckung der Barock-Mandoline zu verdanken.

Die neapolitanische Mandoline heute

Die Verbesserung der Ausbildung im Fach Mandoline hatte eine neue Generation von Mandolinistinnen und Mandolinisten zur Folge, die auch wieder mit solistischen und kammermusikalischen Auftritten große Beachtung erzielen; stellvertretend seien hier Gertrud Tröster, Detlef Tewes und Klaus Wuckelt genannt. Auch außerhalb Deutschlands gibt es heute bedeutende Mandolinisten, die sich sowohl der klassischen und romantischen Traditionen verpflichtet fühlen wie auch das zeitgenössische Musizieren auf der neapolitanischen Mandoline fördern, z.B. Ugo Orlandi in Italien, Florentino Calvo in Frankreich oder Juan Carlos Muñoz in Luxemburg.

Heute gibt es wieder ein breites Spektrum klassischer Musik für die neapolitanische Mandoline: Für sie wird hauptsächlich solistisch, kammermusikalisch (vornehmlich im Duo mit Gitarre) oder im Zupforchester komponiert. Interessierte können an mehr und mehr Musikschulen Unterricht auf dem Instrument erhalten, und wo das nicht der Fall ist, bieten oft Zupforchester qualifizierten Unterricht an. Auch die Zahl der Hochschulen, an denen Mandoline studiert werden kann, steigt stetig, und in Folge dessen gibt es immer mehr Mandolinistinnen und Mandolinisten, die ihren Platz im Konzertleben finden. 300 Jahre nach ihrer Entstehung ist die neapolitanische Mandoline heute also zukunftsträchtiger und präsenter denn je.

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