Kurt Schwaen und die Zupfmusik

von Thekla Mattischeck

In diesem Jahr (Anm.: 1999) wurde der Komponist Kurt Schwaen 90 Jahre alt. Dieses Jubiläum gab mir die Anregung, über sein Wirken und Schaffen für Volksinstrumente, und ganz speziell der Zupfinstrumente Mandoline und Gitarre, zu recherchieren. In meiner Arbeit möchte ich darlegen, in welcher Art und Weise er sich um die Zupfmusik verdient gemacht hat, wie er Kontakt zur Zupferszene bekam und wie er sein Verhältnis zur Zupfmusik einschätzt. Als Komponist in der DDR lebend, ist es ihm gelungen, trotz der Trennung beider deutscher Staaten sowohl in der DDR als auch in der BRD einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Ich kenne Kurt Schwaen persönlich seit etwa 20 Jahren. Jeder Besuch in seinem Haus wurde durch sein Interesse an meiner Arbeit zu einer Herausforderung, Geleistetes gewissenhaft zu prüfen, und gab mir neue Motivation für Kommendes.

Kurt Schwaen gehört zu den herausragenden Komponisten dieses Jahrhunderts in Deutschland. Sein kompositorisches Schaffen umfasst alle musikalischen Genres, vom einfachen Kinderlied bis zur Oper, von Stücken für Schülerinnen und Schüler bis hin zu äußerst virtuosen Werken für professionelle Musikerinnen und Musiker. Bemerkenswert ist sein umfangreiches Schaffen für Zupfinstrumente.

Kurt Schwaen wurde am 21. Juni 1909 in Kattowitz geboren. Seine Liebe gehörte bereits als Kind dem Klavier. Er nahm Unterricht bei Fritz Lubrich, einem Schüler von Max Reger. 1929 begann er in Breslau mit dem Studium. Er belegte die Fächer Musikwissenschaft, Klavier, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. Zum Wintersemester 1931 setzte er sein Studium in Berlin unter anderem bei Arnold Schering fort.

Als die faschistischen Ideen auch an den Universitäten Einzug hielten, brach er sein Studium ab. In den folgenden Jahren fehlte fast jede künstlerische Betätigungsmöglichkeit. Eine Ausnahme bildete seine Arbeit in einem Tanzstudio. Er war dort von 1938 bis 1941 als Begleiter und Komponist tätig und arbeitet unter anderem mit den Tänzerinnen Oda Schottmüller und Mary Wigmann.

Wegen seiner politischen Haltung und seiner Beteiligung am illegalen Widerstand der KPD wurde der Kommunist Kurt Schwaen 1935 verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. 1943 wurde er zur Strafdivision 999 eingezogen. Kurz vor dem Ende des Krieges gelang ihm die Flucht, und er hielt sich bis zur Befreiung am 2. Mai 1945 illegal in Berlin auf.

Das Jahr 1945 war für Kurt Schwaen ein Wendepunkt. Die mit der Befreiung vom Nationalsozialismus verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen waren von ausschlaggebender Bedeutung für seine schöpferische Entwicklung. Er fand jetzt seinen Weg zur freien künstlerischen Entfaltung. Kurt Schwaen bezeichnet "rückblickend das Jahr 1945 als das Jahr 'Null'" (Ina Iske: Kurt Schwaen, für Sie porträtiert. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig, 1984, S. 12).

Der musikalische Neubeginn war gekennzeichnet durch die Suche nach neuen Aufgaben. Doch zunächst wandte er sich Vertrautem zu und arbeitete, wie vorher auch, als Korrepetitor für künstlerischen Ausdruckstanz. Bald kristallisierte sich ein Aufgabengebiet heraus, das schließlich für ein Jahrzehnt sein Hauptanliegen sein sollte: Die Förderung von Volks- und Laienmusik.

Als Berater der Volksmusikschulen in ganz Berlin (ab 1947) hatte er genaue Kenntnis von den Problemen der Laienmusikerinnen und -musiker. Im Rahmen dieser Funktion wurde er unmittelbar mit den Belangen der Praxis konfrontiert. Seine Hauptaufgabe sah er im Aufbau einer neuen humanistischen Musikkultur. Mit seinen Kompositionen wollte er einen aktiven Beitrag zur Erneuerung des kulturellen Lebens leisten. In dieser Zeit entstanden viele kleine, oft nur mit "Stück" bezeichnete Kompositionen für Streicher, Volksinstrumente und Klavier, die eigens für den Unterricht an Volksmusikschulen geschrieben wurden.

1947 begann seine Bekanntschaft mit Konrad Wölki, der damals Leiter der Volksmusikschule in Berlin-Reinickendorf war. Er bat Kurt Schwaen um eine Komposition für die Berliner Lautengilde, die unter seiner Leitung stand. Zunächst wollte sich Kurt Schwaen allerdings das Spiel der Lautengilde anhören. Ihm gefiel diese Art des Musizierens außerordentlich gut, zumal er bis dahin nur den "süßlichen" Tremoloklang der italienischen Art zu spielen kannte. Er war sofort bereit, für die Lautengilde zu komponieren, und es entstanden die "Drei Sätze" (Bagatelle, Kinderlied und Tanz). Die Uraufführung erfolgte 1948, und im Juli 1949 wurden sie durch die Berliner Lautengilde im Berliner Rundfunk aufgenommen.

Diese Komposition galt unter vielen Zupfern lange Zeit als unspielbar, da sie in keiner Weise den damaligen Hör- und Spielgewohnheiten entsprach. Die Lautengilde Leipzig unter der Leitung von Erich Krämer nahm diese Musik sofort in ihr Repertoire auf. Krämer wollte eine Suite von Kurt Schwaen drucken lassen, so dass dieser sich zur Komposition der "Abendmusik (Vier Canzoni)" entschloss.

Von 1948 bis 1953 war Kurt Schwaen Musikreferent der Deutschen Volksbühne. Hier stand er vor der Aufgabe, die Volkskunstgruppen anzuleiten. In den fünf Jahren dieser Tätigkeit bekam er sehr engen Kontakt zum musikalischen Laienschaffen in der DDR. So war es ihm möglich, auf die Entwicklung und Förderung eines neuen, humanistischen Musiklebens Einfluss zu nehmen. Um den Geschmack vieler Laien durch wertvolle Volksmusik in "richtige" Bahnen zu lenken, mussten sich seine Bemühungen nach verschiedenen Seiten hin erstrecken. Deshalb organisierte er Wochenendschulungen für Laienchöre und Volksmusikgruppen. Er befasste sich aber auch mit theoretischen Problemen und verfasste dazu Artikel und Bücher. Das Ergebnis seiner theoretischen Arbeit war das Buch "Über Volksmusik und Laienmusik" (1952). Es diente der Klärung und Lösung anstehender Probleme dieser Zeit. Ein Abschnitt darin ist den Zupfinstrumenten gewidmet. In seiner Schrift "Tremolo oder Stakkato" beschäftigt sich Kurt Schwaen ebenfalls mit Problemen der Zupfmusik. Er trug mit diesen Arbeiten wesentlich zur Klärung in der Auseinandersetzung um die Spielweise bei.

"Man weiß inzwischen, daß nicht die Spielweise das Primäre ist, sondern daß der Inhalt des Kunstwerkes jedesmal seine eigene Interpretation verlangt. Trotzdem kann man sagen, daß das Stakkato bevorzugt wird und das Tremolo sparsamer, dafür aber um so wirkungsvoller angewandt wird." (Kurt Schwaen: Über Volksmusik und Laienmusik. Dresdner Verlag, Dresden, 1952)

Mit beiden Schriften hat Kurt Schwaen einen bedeutenden Beitrag zur Förderung und Schulung der Zupfmusiker und -musikerinnen geleistet. Die Zupforchester kamen nun in ihrer Spielweise und der Literaturauswahl sprunghaft voran.

Die 50er Jahre waren eine Blütezeit der Zupfmusik. Es gab zahlreiche Orchester und Gruppen, die, angeregt durch Kurt Schwaens Schulungen und Schriften, seine Werke regelmäßig in ihren Konzerten aufführten. Und natürlich kamen noch weitere Kompositionen hinzu, zum Beispiel:

Frohe Fahrt (Zupforchester mit 3 Akkordeons, Pauken und B-Stimmen)1952
20 leichte Stücke (2 Mandolinen)1952
Vier Nationaltänze (Zupforchester)1953
    1. Ländler 
2. Mazurka 
3. Gopak 
4. Ecossaise 
Rondo (Mandoline und Zupforchester)1954
Spanische Serenade (Zupforchester)1955

Innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes hatte sich durch die kontinuierliche Bildungsarbeit das Klangideal der Zupfmusik verändert. So konnten, angeregt durch Kurt Schwaen, auch andere Komponisten gewonnen werden, für Zupfintrumente zu schreiben. Zu diesen zählten unter anderem Werner Hübschmann, Theodor Hlouschek und Herbert Kirmße.

In der DDR gab es zu dieser Zeit zwei professionelle Zupfgruppen: im staatlichen Folkloreensemble und im Ensemble des Freien Deutschen Gewerkschaftbundes. Durch das Doppelquartett des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes erfolgten regelmäßige Aufführungen des Rondos für Mandoline und Zupforchester mit dem Solisten Gerd Lindner-Bonelli. Sehr häufig wurde auch der "Gopak" aus den "Vier Nationaltänzen" gespielt.

An den Volksmusikschulen der DDR erhielten die Mandolinen- und Gitarrenschülerinnen und -schüler eine qualitativ gute Ausbildung durch gut geschulte Lehrerinnen und Lehrer. Somit konnten auch immer regelmäßig neue Spielerinnen und Spieler für die Zupforchester gewonnen werden. Als 1963 die Volksmusikschulen in Musikschulen umgewandelt wurden, um die Ausbildung auf dem Gebiet der Orchesterinstrumente in größerem Umfang als bis dahin zu gewährleisten, durfte der Anteil der Unterrichtsstunden für alle Volksinstrumente, also neben Mandoline und Gitarre auch noch Akkordeon und Blockflöte, nur noch 15% der Gesamtstundenzahl der Musikschulen ausmachen. Die Lehrerinnen und Lehrer für Volksinstrumente sollten jetzt an Klub- und Kulturhäusern ihren Unterricht fortsetzen. Leider klappte dies nur in wenigen Fällen, so dass bald fehlender Nachwuchs viele Zupforchester zur Auflösung zwang. In den späten 70-ern erst wurde ein Versuch unternommen, diesen Abwärtstrend zu stoppen. Es wurde die Gründung von Musikunterrichtskabinetten beschlossen. Diese sollten wieder verstärkt Unterricht für Volksinstrumente anbieten und standen jedem Interessierten offen, egal, wie alt oder "begabt" die Schülerin bzw. der Schüler war. (An den Musikschulen durfte die Ausbildung nur mit einem festgelegten Alter und nach einem bestandenen Aufnahmetest begonnen werden). Dass diese Lösung des Problems von der Bevölkerung angenommen wurde, beweist der große Zuspruch, den die Musikunterrichtskabinette hatten. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass an einer dieser Einrichtungen ein Zupforchester oder ein Gitarrenensemble gegründet worden wäre.

In den 70-er Jahren gab es nach langer Unterbrechung wieder vereinzelte Studentinnen und Studenten der Mandoline. Allerdings als 2. Hauptfach oder als Nebenfach. Im Hauptfach wurde grundsätzlich Gitarre studiert. Als Walter Neugebauer mit der Bitte an Kurt Schwaen herantrat, für einen seiner Schüler eine Komposition zur Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule zu schreiben, war dieser, da ein geeignetes zeitgenössisches Werk dringend benötigt wurde, schnell bereit zu einer neuen Komposition für die Mandoline. Er ging bei diesen Werken "von anderen klanglichen und spieltechnischen Vorstellungen aus als früher... Damit reihen sie sich gleichberechtigt in seine Kammermusik ein." (Ina Iske: Kurt Schwaen, für sie porträtiert, VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig, 1984, S. 13) Es entstand, inspiriert durch seine Eindrücke auf einer Bulgarienreise, "In der Izba". Die Uraufführung erfolgte 1975 durch Ingo Kroll als Mandolinist und Gerhard Puchelt am Klavier. Im gleichen Zeitraum komponierte er auch den "Slowenischen Tanz", der ebenfalls Elemente der slawischen Musik enthält. "In der Izba" wurde in der DDR zum Pflichtstück der Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule.

Grundsätzlich wandte sich Kurt Schwaen mit Beginn der 60er Jahre anderen musikalischen Genres zu, aber wenn ihn eine neue interessante Aufgabe reizte, ließ er sich immer noch zu Kompositionen für Zupfinstrumente hinreißen. So fand er es schon immer faszinierend, die verschiedensten Klänge zu kombinieren. Warum sollten nicht auch Zupfinstrumente im Zusammenspiel mit Holzbläsern klanglich überzeugende Musik darbieten können? Einmal in dieser Richtung zum Nachdenken animiert, entstand 1973 eine Suite für Holzbläser und Zupforchester, "Für die Freiheit". Die Uraufführung wurde vom Zupfensemble Berlin-Köpenick unter der Leitung von Walter Neugebauer während einer Konzertreise nach Ostrava (damalige CSSR) mit großem Erfolg gespielt.

Während es, wie im bisherigen Teil der Arbeit geschildert, in der DDR sehr schnell zu einem Aufschwung der Zupfmusik kam, setzte sich das non-tremolo Spiel in der BRD zögerlicher durch. Nach Aussage von Kurt Schwaen ca. 10 Jahre später. Aber auch hier wurden seine Stücke immer beliebter. Da es nicht immer möglich war, seine beim VEB Hofmeister Verlag in Leipzig gedruckten Werke zu erhalten, wurden diese handschriftlich kopiert und weitergegeben.

Leider wurde es ab Mitte der 60er Jahre in der DDR immer schwieriger, Kompositionen für Zupfinstrumente drucken zu lassen. Werke für Zupforchester wurden, wenn sie vergriffen waren, nicht mehr nachgedruckt. Diese Entwicklung war zum Vorteil für die Verbreitung seiner Musik für Zupfinstrumente in der BRD. Denn wenn ein Komponist sein Werk einem Verlag angeboten hatte, dieser aber den Druck abgelehnt hatte, durfte der Komponist sein Stück ausländischen Verlagen anbieten. Das tat Kurt Schwaen natürlich, und mit Beginn der 70er Jahre erschienen seine Kompositionen für Zupfinstrumente zum großen Teil im Joachim-Trekel-Musikverlag Hamburg. Der Komponist hatte dafür eine Sondergenehmigung von den Behörden der DDR erwirkt. Vielen anderen seiner Kollegen gelang dies nicht.

Das Interesse Kurt Schwaens an ungewöhnlichen Besetzungen wurde erneut geweckt, als er aus Urexweiler im Saarland angeschrieben wurde mit der Bitte, für das dort ansässige Zupforchester ein Cembalokonzert zu komponieren, da dort eine junge Cembalistin jedes Jahr ein Konzert gab. Wie gewohnt arbeitete er wieder sehr schnell.

"Dieser Brief trägt das Datum vom 6. 10. 1985. Am 21. 12. 85 erfolgte die Uraufführung meines Concertinos für Cembalo und Zupforchster. Rechnet man die Dauer der postalischen Zustellung(...), die Tage für das Herausschreiben der Stimmen, so wird deutlich, dass für die Komposition wie für die Einstudierung wenig Zeit zur Verfügung stand." (Kurt Schwaen: Stufen und Intervalle. Verlag die blaue Eule, Essen, 1996, S. 198 f.)

Kurze Zeit später fand durch die gleichen Interpreten eine weitere Aufführung statt. Dort lernte Kurt Schwaen den Leiter des Orchesters Franz-Rudolf Kunz kennen. Dieser besuchte ihn zu Hause in Berlin-Mahlsdorf.

"Die Lawine kam erneut ins Rollen. Erstes Ergebnis: mein «Intermezzo giocondo für Mandoline, Gitarre und Zupforchester»." (Kurt Schwaen, ebda., S. 200)

Die Uraufführung fand in Lausanne statt:

"1987. Da war ich beinahe noch Repräsentant eines fremden Landes." (Kurt Schwaen, ebda., S. 201)

Dort lernte er Horst Hagemann und Ruth Tschümperlin als Vertreter des Schweizer Zupferverbandes kennen. Er wurde gebeten, für einen Workshop eine Komposition zu schreiben.

"Das Werk, die «Tänzerischen Impressionen», wurde beim Workshop des «Orchestertreffens Schwyz '88» erarbeitet, aufgeführt und erschien bald auch auf einer CD." (Kurt Schwaen, ebda., S. 201)

Kurt Schwaen "leitete mit der «Izba» und dem «Balletto» eine neue stilistische Richtung ein. 1985 dann das Cembalokonzert. Seitdem sind gut ein Dutzend Stücke für Zupforchester in den verschiedensten Besetzungen, auch mit anderen Instrumenten verbunden, entstanden. (...) Urexweiler hat diese Lawine ausgelöst." (Kurt Schwaen, ebda., S. 201) Auf einige dieser Kompositionen möchte ich an dieser Stelle hinweisen:

Lyrische Szene für Flöte und Zupforchester1987
Odertänze für Flöte und Zupforchester1988
Paartänze für Mandoline und Gitarre1988/90
Miteinander für 2 Mandolinen1989
Fantasia für 2 Gitarren1989
Vision orientale für Mandoline und Klavier1990

Auffällig ist auch bei diesen Werken die Vorliebe Kurt Schwaens für die unterschiedlichsten Besetzungen, die sich meist aus den örtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Interpreten ergeben haben.

In den 90er Jahren komponiert er allmählich wieder seltener für Zupfinstrumente, aber trotz vieler Ankündigungen, nun wirklich nichts mehr für diese Instrumente schreiben zu wollen, weil es doch schon genug Werke in dieser Richtung von ihm gäbe, kann er sich nicht vollständig zurückhalten, und es entstehen einige sehr schöne Kompositionen. Erwähnen möchte ich hier:

Fern und nah/Bolero für Zupforchster1991
Bewegung und Stille/Ungeduld für Mandoline und Cembalo1993
Impromptu semplice für 4 Gitarren1998

Bereits 1995 entstand das Konzert-Divertimento für Violoncello und Zupforchester. Auch hier reizte ihn das neue Klangbild. Die Anregung, solch ein Werk zu schreiben, kam von Helga Konzack, der Landesvorsitzenden des BDZ in Berlin. Sie hatte ein Konzert angehört, in dem der Cellist Douglas Vistel auch einige Stücke von Kurt Schwaen spielte. Von der hervorragenden Spielweise des Cellisten begeistert, äußerte sie in einem Gespräch, dass es doch sicher eine interessante Sache wäre, für ihn und das Landeszupforchster Berlin ein Werk zu schreiben. Nun, der Komponist ließ sich auch hier nicht lange bitten.

Kurt Schwaen äußerte sich in einem Gespräch, das ich am 15. 10. 1999 mit ihm führte, dass ihm die 3 Interpreten, die er bisher gehört hat, mit ihren unterschiedlichen Auffassungen und der Gestaltung des Werkes gefallen haben.

In der Vorbereitung für diese Arbeit war es für mich unumgänglich, ein persönliches Gespräch mit Kurt Schwaen zu führen. Wie gewohnt war er dazu sofort bereit. Als ich ihn um eine Einschätzung zum heutigen Stand der Zupfszene bat, äußerte er sich folgendermaßen:

"Die Zupfer haben in den letzten 40 Jahren einen qualitativ großen Sprung gemacht. Er führte sie zu großen spielerischen Leistungen, sowohl bei Solisten als auch Orchestern. Sie zeichnen sich durch hohe technische Perfektion aus. Die mannigfaltige Literatur, die modern bis avantgardistisch ist, kann gelobt und bewundert werden. (...) Zupfmusik interessiert mich jetzt nur noch zu Hören, was ich weiterhin gern tun werde. Aber komponieren möchte ich dafür nicht mehr. Mein Gesamtwerk für Zupfinstrumente ist groß genug. Jetzt sind jüngere Komponisten an der Reihe."

Wer ihn kennt, ist geneigt an einen Ausspruch des von ihm hoch geschätzten Bertolt Brecht zu glauben: "Wer noch lebt, sage nicht: niemals". (zitiert nach Kurt Schwaen: Stufen und Intervalle. Verlag die blaue Eule, Essen, 1996, S. 184)

Neben den Werken für die klassischen Zupfinstrumente, Mandoline und Gitarre, komponierte Kurt Schwaen auch für andere Instrumente dieser Gattung, so 3 Stücke für Balalaika und jeweils ein Stück für Zither und Harfe.

Nicht unerwähnt sollen die zahlreichen Einspielungen von Werken für Zupfinstrumente auf Schallplatten und CDs bleiben (s. Discographie). Es sind jeweils 13 Schallplatten und CDs erschienen. Einige enthalten ausschließlich Kompositionen von Kurt Schwaen, für andere wurden einzelne Stücke ausgewählt. Sicher geben diese Aufnahmen einen Einblick in das Repertoire der jeweiligen Interpreten und lassen somit auch Rückschlüsse zu, welche Werke sich besonders großer Beliebtheit erfreuten. Der "Hit" ist ohne Zweifel der "Gopak", der insgesamt 9× aufgenommen wurde, außerdem ist er noch 2× mit den anderen drei "Nationaltänzen" erschienen. Weiter wurden ebenfalls recht häufig die "Abendmusik" (7×) und des "Tanzstück" (6×) eingespielt. Die im Anhang vorhandene Aufstellung gibt eine Übersicht aller in Deutschland erhältlichen Aufnahmen. Ob es noch andere Schallplatten oder CDs in anderen Ländern, z.B. in Japan, gibt, entzieht sich meiner Kenntnis.

In Schwaens Schaffen sind häufig Stilmerkmale jener Musik anzutreffen, unter deren Einfluss er aufgewachsen ist. Die musikalische Gestaltung im 'slawischen Stil' findet sich in jeder Periode seiner schöpferischen Entwicklung. Sein Personalstil ist gekennzeichnet durch die häufige Verwendung von straffen und akzentuierten Rhythmen. Gleichzeitig gelingen ihm einprägsame Melodien, die Kontraste zum Rhythmus setzen. Er bevorzugt es, kurze Werke zu schreiben.

"Ich bin für Kürze. Aber Kürze muß sein, weil man nicht lang will, nicht, weil man nicht lang kann." (Kurt Schwaen: Stufen und Intervalle. Verlag die blaue Eule, Essen, 1996, S. 283)

Die Konzeption des musikalischen Schaffens von Kurt Schwaen wird dadurch bestimmt, dass bei genauer Abgrenzung des musikalisch-technischen Anspruchs die Kompositionen von einem hohen künstlerischen Niveau sind. Ob im Schreiben für Volksinstrumente, für Kinder oder Erwachsene und professionelle Interpreten, Kurt Schwaen geht alle diese Vorhaben mit gleicher Ernsthaftigkeit und mit gleichem Engagement an. Er ist mit seinen Werken darum bemüht, das künstlerische Niveau des Interpreten zu heben, indem er ganz bewusst neue Elemente verwendet und den Schwierigkeitsgrad erhöht. Damit bilden die Kompositionen einen Anreiz für den Interpreten, auch Ungewohntes und Neues zu erarbeiten. Er formuliert dies folgendermaßen:

"Aufgaben: Musik für ein vorhandenes Publikum schreiben. Publikum für eine vorhandene Musik gewinnen. Oder anders: Kunst für die Menschen fordern. Menschen für die Kunst fördern." (Kurt Schwaen: Stufen und Intervalle. Verlag die blaue Eule, Essen, 1996, S. 283)

Die Klarheit, rhythmische Lebendigkeit und Überschaubarkeit der Kompositionen waren gute Voraussetzungen dafür, dass sich Schwaens großer Einsatz für die Volksmusik sowie für das Musizieren mit Volksinstrumenten produktiv auswirkte. Seine zahlreichen Werke für solche Besetzungen sind innerhalb seines umfangreichen kompositorischen Schaffens Musterbespiele dafür, wie die Musizierenden durch die Freude am klingenden Ergebnis zur Meisterung des technischen Spielanspruchs angeregt werden. Dabei erschließt sich ihnen der Sinn für alte und neue Klänge ebenso wie sich neue Ausdrucksformen schulen.

"Es wird wenige Leute geben, welch die lustige und wahrhaft edle Musik Schwaens nicht schön finden. Aber das Einstudieren dieser Musik wird vielleicht nicht immer ganz leicht sein. Von solchen Schwierigkeiten in der Kunst darf man sich niemals abhalten lassen. Die guten Musiker bereiten dem Ohr Überraschungen. Sie vermeiden das Abgedroschene. Was zunächst verblüfft, wird schnell als erfrischend empfunden. (Bertolt Brecht)" (Hansjürgen Schäfer: Kurt Schwaen 75, in: Musik und Gesellschaft 6/84, 34. Jahrgang, S. 307)

Dieser Aufsatz war Thekla Mattischecks musikgeschichtliche Abschlussarbeit des Fortbildungslehrganges "Die Mandoline im Unterricht" 1998/99 an der Bundesakademie Trossingen

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